Statistikanalyse – ballesterer

DIE MÄNGELLISTE

Belgien Erster, Österreich und die Schweiz unter den besten elf Nationalmannschaften der Welt – die FIFA-Weltrangliste überrascht. Die Berechnungsmethode hat Lücken, Siege werden nicht immer belohnt.

Seit dem 5. November führt Belgien erstmals die FIFA-Weltrangliste an – vor den WM-Finalisten Deutschland und Argentinien. Das österreichische Team findet sich auf Platz zehn, ebenfalls eine historische Höchstwertung, die Schweiz liegt gleich dahinter. Auch wenn Belgien ein starkes Team hat, Österreich eine hervorragende Qualifikation abgeliefert hat und die Schweiz seit Jahren konstant spielt – die aktuelle Weltrangliste überrascht doch.

Komplexe Rechnung

Die Berechnung der Weltrangliste beruht auf folgenden Grundsätzen: Wer verliert, kann keine Punkte holen. Bewerbsspiele zählen mehr als Freundschaftsspiele, ebenso Siege gegen stärkere Teams. Und schließlich wird die Stärke der jeweils beteiligten Konföderationen in Betracht gezogen. Diese Faktoren werden miteinander multipliziert, um die erreichten Punkte aus jedem Spiel zu erhalten. Die erzielten Punkte werden danach nicht einfach addiert, denn es soll auch eine zeitliche Ebene berücksichtigt werden. In die Gesamtpunktzahl geht der Schnitt aller Spiele der letzten zwölf Monate zu 100 Prozent ein, die drei Jahre davor werden in Abstufungen zu jeweils 50, 30 und 20 Prozent eingerechnet.

Die vermeintlich nachvollziehbare Berechnungsmethode hat einige Makel. Der größte: Der Status eines Spiels ist enorm wichtig. Bei einem WM-Spiel können bis zu viermal mehr Punkte erzielt werden als in einem Freundschaftsspiel. Das mag vernünftig klingen, birgt aber Tücken in sich. Zum Beispiel, wenn der Schnitt einer Nationalmannschaft der letzten zwölf Monate über 600 Punkten liegt. Trägt dieses Land nun ein Freundschaftsspiel aus, kann es seinen Schnitt nur verschlechtern. In einem Freundschaftsspiel sind nämlich maximal 600 Punkte zu holen. „Österreich hat derzeit eine Jahrespunktzahl von 771,93“, sagt der Statistiker Norbert Jäger zum Stand der Rangliste von Oktober. „Gegen Argentinien können in einem Freundschaftsspiel maximal 597, gegen Deutschland 588,06 Punkte geholt werden. Im hypothetischen Fall, dass Österreich gegen beide Mannschaften 5:0 gewinnt, sinkt der Durchschnitt trotzdem – Österreich würde in der Rangliste vermutlich zurückfallen. Das ist absurd!“

Schwache Kontinente, chancenlose Gastgeber

Die Wichtigkeit, die dem Spiel zugemessen wird, führt zu weiteren Problemen. Die Gastgeber von Endrunden tragen keine Qualifikationsspiele aus. Ihnen fehlen damit Spiele, die mit dem Faktor 2,5 gewertet werden. Deshalb fallen sie vor dem Turnier in der Rangliste regelmäßig zurück, EM-Gastgeber Frankreich musste sich im Juli 2015 aus den Top 20 verabschieden. Ein weiteres Problem: Kontinentalmeisterschaften finden nicht im gleichen Rhythmus und in den gleichen Jahren statt. Die Konsequenzen offenbaren sich bei der Betrachtung des Afrika-Cups: Zum einen haben afrikanische Mannschaften potenziell öfter die Gelegenheit, höher gewichtete Spiele zu bestreiten, weil das Turnier alle zwei Jahre ausgetragen wird. Somit haben sie häufiger die Chance auf hohe Punktzahlen. Hinzu kommt: Der Afrika-Cup findet in ungeraden Jahren statt. Weil die Weltrangliste die letzten zwölf Monate stärker gewichtet, sind afrikanische Mannschaften tendenziell in anderen Jahren stärker als zum Beispiel europäische.

Diesem potenziellen Vorteil afrikanischer Teams steht die Benachteiligung der schwächeren Kontinente gegenüber. Der Faktor Konföderationenstärke wird nämlich nicht dem jeweiligen Gegner zugeschrieben, sondern es wird der Schnitt der beteiligten Konföderationen verwendet. „Das klingt harmlos“, sagt Jäger. „Aber eine afrikanische Mannschaft erhält für einen Sieg oder ein Unentschieden immer weniger Ranglistenpunkte als eine, die der UEFA angehört.“ Der höchstmögliche Faktor von 1 kann nur erlangt werden, wenn zwei Teams der stärksten Konföderation gegeneinander spielen. Sollten beispielsweise die Bahamas gegen Argentinien gewinnen, müssten sie sich mit einem Konföderationenfaktor von 0,925 zufrieden geben. Ein Sieg von Deutschland gegen Gibraltar würde hingegen mit dem Faktor von 0,99 bewertet.

Fehler multiplizieren sich

Während bei Siegen die Gewichtung zu Verzerrungen führt, ist es bei Niederlagen das Fehlen einer solchen. Es mag einleuchtend klingen, dass es für eine Niederlage keine Punkte gibt. Ganz wie in der Meisterschaft: Wer keine Punkte holt, fällt in der Rangliste zurück. Nur sind in einer Meisterschaft die Teams zumindest in der gleichen Leistungsklasse angesiedelt. Bei Länderspielen ist das nicht unbedingt der Fall. Auf die Qualifikationsgruppe des österreichischen Nationalteams angewendet, hieße das: Eine Niederlage gegen Russland wäre gleich gewichtet worden wie eine gegen Liechtenstein.

Offensichtlich hat die Weltrangliste einige Schwachstellen. Weil die Reihung der FIFA zur Einteilung von Lostöpfen verwendet wird, ist das nicht unbedeutend. Das Problem wird dadurch verstärkt, dass Fehler weitere Fehler provozieren. Wenn man gegen einen überbewerteten Gegner gewinnt, erhält man mehr Punkte, als einem eigentlich zustehen würden. Oder, wie Norbert Jäger sagt: „Man kann in die Spitze gelangen, ohne jemals selbst eine Spitzenmannschaft besiegt oder auch nur gegen eine gespielt zu haben.“


Dieser Text erschien zuerst im ballesterer #107.