Portrait – Ostschweiz am Sonntag

Seine Bilder sind berühmter als er selbst

Fotokünstler Hannes Schmid hat den Marlboro-Cowboy geprägt, über 250 Bands begleitet und ein Hilfswerk in Kambodscha aufgebaut. Dabei ist er dem Tod gleich mehrfach von der Schippe gesprungen.

Hut, Jeanshemd, Lasso. Kaum eine Werbefigur ist bekannter als der Cowboy der Zigarettenmarke Marlboro. Weniger bekannt ist, dass die Figur vom Toggenburger Fotokünstler Hannes Schmid geprägt wurde. Dass es überhaupt so weit kam, ist alles andere als selbstverständlich. Das Leben von Schmid hätte mehrfach ein abruptes und verfrühtes Ende nehmen können. Der Fotokünstler hat in Slums gewohnt, auf Müllhalden übernachtet und unter Kannibalen gelebt. Irgendwie hat er sich aber aus jedem schwierigen Umfeld, aus jeder brenzligen Situation befreit. Und dabei Fotos geschossen, die berühmter sind als er selbst.

Angefangen hat alles vor über 50 Jahren auf einer Säntisabfahrt. Hobby-Skifahrer Schmid lag im Schnee, sonnte sich und dachte: «Jetzt muss ich gehen.» Das Toggenburg war ihm zu eng geworden. Wohin es ihn ziehen sollte, war noch nicht klar. «Ich konnte mir kein Flug ticket leisten, also musste ich einen anderen Weg finden», sagt der Bürger von Neckertal. Die Lösung kam über ein Jobangebot in Südafrika. Der gelernte Elektriker und Beleuchtungstechniker sollte am Kap der Guten Hoffnung beim Aufbau einer Radar- und Funkstation helfen. Die Firma zahlte den Flug. Als eine Auswanderung will er seinen Weggang aber nicht verstanden wissen. «Ich wollte mir kein neues Leben in Südafrika aufbauen. Ich ging aus Neugier, nicht wegen des Fernwehs.» Von seinem ersten Lohn kaufte sich der damals 23-Jährige eine Kamera. Die geschossenen Bilder haben ihn jedoch gar nicht interessiert. Vier Jahre blieb er auf dem afrikanischen Kontinent und vier Jahre lang sah er kein einziges seiner Bilder. Die Filme gingen unentwickelt per Post in die Schweiz. Was ihn faszinierte, war der Weg zum Foto.

Doch irgendwann hatte er genug gesehen. Schmid hatte nach vier Jahren Afrika das Gefühl, alles erlebt zu haben. Nach einem kurzen Zwischenstop in der Schweiz reiste der nun 27-Jährige nach Singapur. Dort nahm er eine Stelle als Elektriker an, warf aber schon nach zwei Monaten hin. Ohne eine Anschlusslösung zu haben, geschweige denn ein Rückflugticket. Er hörte von einem Projekt in Borneo, das Orang-Utans wieder an die Wildnis gewöhnen wollte, und reiste hin. «Ich weiss heute noch nicht, ob die Orang-Utans mehr von mir gelernt haben oder ich von ihnen.»

Mit Kannibalen gelebt

In Borneo hörte Schmid zum ersten Mal von der Geschichte des Anthropologen Michael Rockefeller, der bei der Untersuchung eines Kannibalenstamms in Papua-Neuguinea verschwunden war und nie gefunden werden konnte. Also machte er sich auf die Suche. «Ich war aber kein Abenteurer. Ich habe mich auf diese Reise vorbereitet. Ich wurde ja von Orang-Utans trainiert.» Seine Stimme bleibt ernst dabei. Sowieso weiss man als Gesprächspartner von Schmid nie so recht, ob einem einfach sein Schalk entgeht, oder ob er tatsächlich so sachlich über seine Erfahrungen berichtet. Auch wenn er vom Leben mit den Kannibalen erzählt, bleibt er ruhig. Und das ist mit Sicherheit nicht einer langweiligen Geschichte geschuldet. «Ich musste ein Teil werden des Stamms.» Und dieser Stamm hatte nicht gerade viel übrig für den seltsamen Schweizer. «Ich wurde geschlagen, hatte mehrmals Pfeile in der Schulter stecken, musste mit den Schweinen leben oder mit den Frauen im Stall.» Nahe des Kochtopfs sei er aber nie gestanden. Der Kannibalismus des Stammes sei ritueller Art gewesen. Durch das Verspeisen von Teilen eines Gegners sollte man dessen Qualitäten erhalten. «Für den Stamm war ich bloss ein feiger Hund. Mich zu essen, wäre nicht sinnvoll gewesen.» Eindruck schinden konnte der Fremde nur mit seinen Schuhen. «Wenn ich die ausgezogen habe, dachten alle, ich hätte ein zweites Paar Füsse.»

Irgendwann sei er einfach gegangen, sagt Schmid. Er reiste auf die Malediven und übernahm die Tauchschule eines Freundes. Dort traf er einen Musikmanager. Später, zurück in der Schweiz des Jahres 1977, lud ihn ebendieser Manager an ein Konzert der Band Status Quo ein. Beim anschliessenden Essen mit den Musikern sei deren Abneigung gegenüber Fotografen schnell verschwunden, als er von seinen Erfahrungen mit dem Kannibalenstamm berichtet habe. Die Band wollte sich fotografieren lassen. Das Ergebnis gefiel, und Schmid stand am Anfang einer Karriere als Bandfotograf. Und das, obwohl ihm Rockmusik gar nicht gefiel: «Ich fand sie grauenhaft. Aber die Leute waren spannend. Das war ja irgendwie auch eine Art Stamm: Menschen mit langen Haaren, die sich in einem Rhythmus bewegen.»

Schmid fotografierte in rund acht Jahren über 250 Bands. Darunter praktisch sämtliche Grössen der Zeit. In seinem Atelier in Zürich-Schwamendingen stapeln sich Kartonschachteln, die mit ABBA, Queen, AC/DC oder Uriah Heep beschriftet sind. Einigen Musikern lehrte er im Toggenburg das Skifahren. «Alle wollten aber eigentlich immer zu meiner Mutter, um ihre Hacktätschli mit Kartoffelstock zu essen.» In jener Zeit wohnte der Toggenburger praktisch im Flugzeug. «Manchmal flog ich für zwei Stunden nach New York. Irgendwann hatte ich keine Lust mehr, aus dem Koffer zu leben.» Und zudem hatte er erneut das Gefühl, alles gesehen zu haben. «Es gab nichts Neues mehr, also habe ich 1984 damit aufgehört.»

Wieder stand Schmid vor einer Veränderung, für die er eigentlich keinen Plan hatte. Dann kam ein Anruf. Die deutsche «Vogue» wollte Modebilder, die sich vom damals Üblichen unterscheiden sollten. Er sagte zu und war schnell erfolgreich. Er fotografierte für namhafte Modemagazine und schreckte nicht vor aussergewöhnlichen Ideen zurück. Wie damals, als er sich zusammen mit Models in die Eigernordwand abseilte. «Ich konnte zu der Zeit eigentlich machen, was ich wollte. Die Models wollten mit mir arbeiten, weil ich ihnen Abwechslung bieten konnte.»

Neuerfindung des Cowboys

Mit der Modefotografie hatte Schmid neues Terrain betreten. Zum ersten Mal waren seine Aufnahmen inszenierte Darstellungen. Die Werbeindustrie wurde auf ihn aufmerksam. Allen voran die Tabakindustrie. Nach einigen kleineren Firmen wurde der Nichtraucher damit beauftragt, die Marlboro-Kampagne neu zu gestalten. Zwar hatte die Marke vorher schon auf einen Cowboy gesetzt, doch Schmid «erfand 1993 den American Cowboy vielleicht das letzte Mal neu», wie es in einem Artikel des «Tages-Anzeigers» vor drei Jahren hiess. Auch Schmid sagt, ohne dabei besonders stolz oder gar arrogant zu wirken: «Ich habe den Cowboy geprägt.» Starke Kontraste sollten für klare Konturen sorgen. Berühmt sind seine Cowboy-Fotos bis heute. Nur: Assoziiert werden sie gerade in der Kunstszene eher mit Richard Prince. Der US-Künstler hatte sie sich angeeignet, indem er sie abfotografierte und neu arrangierte. Schmid selber erfuhr durch Zufall davon. «Ich hatte noch nie von Aneignungskunst gehört. Und dann laufe ich an der Biennale in Venedig an meine Bilder ran. Das hat schon genervt.» Doch er fand einen eigenen Weg, wie er damit umgehen konnte. Er entwickelt seither seine eigenen Bilder weiter, indem er Gemälde davon erstellt. «Dabei konnte ich zu Beginn gar nicht malen.»

Hilfe für Kambodscha

Der Künstler muss sich die Zeit dafür einteilen. Neben der Malerei und weiteren Projekten engagiert er sich in seinem Hilfswerk Smiling Gecko. Mit diesem versucht er, der kambodschanischen Bevölkerung zu helfen. Dafür hat er in Kambodscha eine Schreinerei nach Schweizer Qualitätsstandards aufgebaut. Wer sich dort ausbilden lässt, soll eine Lehre auf Schweizer Niveau erhalten. Immer wieder führte vor Ort eines zum anderen. Mittlerweile gibt es Pläne für einen ganzen Campus, an denen sich auch die ETH beteiligt. Vom Kinderhort bis zur Universität soll dieser alles anbieten. Und ganz nebenbei hilft Schmid mit, in Kambodscha eine funktionierende Land- und Viehwirtschaft aufzubauen und ein Hotel auf Vier-Sterne-Niveau zu führen.

Die Biographie von Hannes Schmid scheint von Zufällen geprägt. Nur: Zufälle will er es nicht nennen. Begebenheiten seien das gewesen. Chancen, die er ergriffen habe. Dabei half ihm, dass er keine Angst vor dem Tod zu kennen scheint. Und trotz seines nicht ungefährlichen Lebenswandels, dem Tod am nächsten kam Schmid vor rund zwei Jahren am eigenen Kühlschrank in seinem Haus in der Zürcher Agglomeration. Dort lebt er mit seiner Frau, einer Singapur-Chinesin, und den zwei Kindern. Für seine Familie wollte er aus dem Ausland mitgebrachte Zutaten zubereiten. Er schnitt sich an etwas Eis, das er vom Kühlschrank entfernte. Der Schnitt stand am Anfang einer ernsthaften Blutvergiftung. Die Ärzte sagten ihm, dass man nur hoffen könne, dass das Antibiotikum anschlage. Sonst könnten sie nichts tun. Schmid, der auch in dieser Situation scheinbar unbeeindruckt blieb, dachte schon einmal an seinen Grabstein. Er sollte in Form eines Kühlschranks gehalten sein. Schmid überlebte. Am Donnerstag feiert er seinen 70. Geburtstag.


Dieser Artikel erschien in der Ostschweiz am Sonntag vom 9. Oktober 2016.